6. Oktober 2022, 21:40
Lesezeit: ca. 6 Min

Navigation mit Enroute

Mit Freude schreibe ich heute von einer besonderen Migration. Diesmal bin ich es, der von einer proprietären zu freien Software wechselt. Die Herausforderung ist die Navigation - nicht für Auto, Fahrrad oder zum Spazieren. Es geht hoch hinaus in die Luft mit einem Flugzeug. Zugegeben eine Nische mit nur wenigen Playern. Hier ein Open-Source Projekt vorzufinden, herrlich!

Im Cockpit meines offenen Doppeldeckers ist leider kein Platz für ein fest eingebautes Gerät. Auch die typischen Befestigungen mit Saugnapf und Schwanenhals fallen aus dem Raster, da diese bei Wind und Wetter alles andere als fest sind. Zudem würde ein Display den Charme eines historisch anmutenden Doppeldeckers mit analogem “Uhrenladen” kaputt machen.

Es muss also eine Lösung für das Handgelenk her. Entsprechende Halterungen sind im Fahrradzubehör schnell gefunden. Und da in diesem Oktober 2022 gleichzeitig auch eine Abo-Verlängerung meiner bisher genutzten proprietären Software Skydemon ansteht, habe ich die vergangenen Wochen genutzt, etwas besseres zu finden.

Anforderungsprofil

Was will ich? Anhand welchen Kriterien messe ich eine gute Software? Für mich muss eine Navigations-App nachfolgende Funktionen können:

  • eine mitlaufende Moving-Map
  • frei skalierbare Vektorkarten
  • Europa mit allen Lufträumen und ggf. Platzrunden
  • Grundlegende Flugplanung mit Berücksichtigung von Windfaktor und Spritverbrauch
  • Anzeige von Track, Heading und Groundspeed
  • Alle Flugplatzinfos und Frequenzen
  • METAR und TAF Wetterinformationen
  • Open-Source Software mit einer freien Lizenz
  • Offline-Funktionalität
  • “uncluttered” User-Interface

Ich schätze Software, die sich auf wenige Kernfunktionen fokussiert und diese genial löst. Vor Jahren war das die Jeppesen-App, auf die ich 2015 gerne von Air Nav Pro gewechselt bin.1 Doch als der Boeing-Konzern wenige Jahre später meinte, als Ersatz das halbfertige ForeFlight aufzuzwingen, wechselte ich aus Prinzip zu Skydemon. Ein pragmatischer Wechsel ohne Liebe. Und obwohl mich Skydemon viele Jahre treu bei Touren quer durch Europa begleitete, blieb es mir vom Handling immer fremd. Um es kurz zu machen: Vom ersten Augenblick mit Enroute2 bin ich richtig begeistert!

Programmiert in C++ von einem kleinen, engagierten Team um Stefan Kebekus, als Projekt vom Akaflieg Freiburg e.V.3 mit Unterstützung der Universität Freiburg. An jeder Ecke der App wird sichtbar: Hier waren Piloten und keine Marketing-Fuzzis oder fachfremde Entscheider am Werk.

Frei von Komplexität und einer “Feature-itis”, die einen bei VFR-Flügen4 mit anderen Apps erschlägt. Auch werden keine Verhaltensdaten gesammelt. Einzig das METAR und TAF ruft die App direkt von aviationweather.gov ab und hinterlässt dort Datenspuren. Erfreulicher sind Download- und Aktualisierung der Kartendaten, die von einem Enroute-Server kommen (dazu später noch ein paar Worte mehr).

Was ich gar nicht will sind Werbe-Nudging, irgendwelche In-App Käufe oder Abstürze (der App!). Ich würde das nicht schreiben, wenn ich das in über einem Jahrzehnt an Praxis als Pilot und Fluglehrer mit 1500+ Flugstunden nicht immer wieder beobachten würde. Bugs mögen in der IT noch lustig sein, in der allgemeinen Luftfahrt werden diese in Kombination mit anderen Faktoren schnell zur Gefahr. Und es gibt eine Menge sehr guter Gründe, warum die Systeme eines bestimmten Herstellers im Aviation-Bereich faktisch keine Rolle spielen. Dazu als Datenpunkt nachfolgendes Bild und als Fußnote eine Geschichte5.

Vertrautes Bild aus der IT, gefährlich in der allgemeinen Luftfahrt. Abgestürztes Windows im Cockpit eines Kleinflugzeuges

Kontextualisierung

Hinzu kommt eine für Deutschland “spezielle” Begebenheit. In fast allen Ländern um uns herum stehen kostenfreie Portale und Open-Data Lizenzen für offizielle AIP-, Wetter- und Flugplatzdaten zur Verfügung. Von meinen Auslandsflügen6 kann ich das persönlich bezeugen. Doch die Deutsche Flugsicherung schafft es im Jahr 2022 nicht, eine aktuelle PDF der ICAO-Karte7 von Deutschland als Download anzubieten. Weder auf der Website8 noch im AIS-Portal9. Immerhin ist diese im NOTAM-Briefing als Layer einblendbar. Ausgedruckt als PDF gibt es dann aber auch nur die Koordinaten als Text ohne Kartenausschnitte. Und wer für seine App oder fest eingebautes Gerät eine DFS-Lizenz für Charts und ICAO-Karte kauft, darf sich beim Einzoomen über regelrechte Pixel-Brocken erfreuen, die als Bitmap-Layer über die Vektorkarten gelegt werden.

Wenn kommerzielle und freie Projekte wie OpenAIP10 oder OpenFlightmaps11 bessere Lösungen als die offiziellen Stellen anbieten, sagt das viel über den technischen und organisatorischen Zustand.

Mögliche Ursache: Eigene wirtschaftliche Interessen, Posten und Pöstchen im Verkauf von Papierkarten und digitalen Nutzungslizenzen im DFS-Unternehmen Eisenschmidt12. Aus meiner Sicht ein problematisches Wischi-Waschi zu Lasten nicht nur der vielen Sport- und Privatpiloten sondern der Allgemeinheit. Entweder spielt man als Dienstleister mit hoheitlichem Auftrag in der gleichen Liga wie alle anderen oder man lässt es besser sein. Steuergelder in freien Softwareprojekten tragen zum Wohle der Allgemeinheit mehr bei als irgendwelche Public-Corporate Partnerschaften. Stichwort: Public Money - Public Code.13

Die App

Für wenig Geld (ca. 75,- EUR) habe ich das günstigste Noname-China-Gerät (Oscal) für den dedizierten Zweck geholt. An der Hardware wichtig waren mir lediglich austauschbare Batterie und ein nicht zu antikes Android-System. Ein Google-Konto war zur Inbetriebnahme nicht erforderlich und es hat eine Weile gedauert, bis ich das Gerät vom vorinstallierten und “nach Hause telefonierenden” Schwachsinn bereinigt habe.

Enroute am Handgelenk in der Luft

Enroute habe ich anschließend bequem über F-Droid14 bezogen. Großes Lob an die Dokumentation: Die Komponenten und Abhängigkeitsliste ist sehr übersichtlich - so sollte es sein.15 Die Länge der Abhängigkeiten gefällt mir natürlich weniger aber gut, ich will nicht meckern. Enroute wird ehrenamtlich in der Freizeit programmiert.

Der Planungsmodus von Enroute ist angenehm intuitiv und vollkommen ausreichend. Der Wind ergibt sich aus den METAR/TAF Daten und muss manuell hinterlegt werden. Eine laufende Aktualisierung je nach Position gibt es nicht.

Planungsmodus von Enroute

In’s Netz lasse ich das Gerät nur bei Bedarf für AIRAC16 oder Wetterupdates. Ansonsten bleibt es offline, was sich in einer längeren Laufzeit bei einem dauerhaft mitlaufenden, maximal hell eingestellten Display bemerkbar macht. Wer eine externe GPS-Maus oder ein FLARM/ADSB sein eigen nennt, kann es über WLAN/BT einbinden.17 Enroute bedient sich der gleichen Datenbanken wie die fest verbauten Air Avionics, Flarm oder Butterfly-Geräte18.

Besonders angenehm ist der Umstand, dass der Enroute-Server auch frei ist.19 Dieser holt sich alle Kartendaten von OpenAIP und OpenFlightmaps zur Umwandlung in das von der App benötigte GeoJSON-Format20.

Wie schön wäre es, in einer Welt zu leben, wo ein Luftsportverband wie z.B. der DAEC21 oder die verschiedenen Landes-Luftaufsichten eigene Enroute-Server diesem Projekt beisteuern würden und den einzigen Uni-Freiburg Server nicht nur entlasten sondern Enroute als App bekannter machen würden. Dazu bedarf es keiner aufwändigen oder zentralen Cluster-Infrastruktur. Einfache Spiegelserver, die für einen Download random von der App aus einer Serverliste abgefragt werden und Ihre verfügbare Bandbreite und Auslastung mitteilen. Ist ein Server am Limit, erfolgt der Wechsel zum Nachfolgenden (+1) in der Liste. Ist dieser auch knapp, geht’s zum Nächsten (+2) bis nach n-Anfragen als Fallback der bis dahin beste genommen wird. Ich verliere mich in technischen Details und Wunschdenken.

Enroute Linux-Desktop App

Enroute akzeptiert als Traffic- und GPS-Reciever auch diverse Flugsimulatoren.22 Verbindung mit dem MSFS2020 konnte ich mit fs2ff herstellen.23 Auf Linux-Desktops kann Enroute via Flatpak schnell und einfach installiert werden, was die Routenplanung und der Abgleich der Informationen mit andere Quellen vereinfacht.

Ich bin mit Enroute sehr zufrieden und hoffe, dass ich mit diesem Blog ein wenig zur Verbreitung und Bekanntheit dieses Projektes beitragen kann.

Ein zufriedener Enroute Pilot

In diesem Sinne,
Euer Tomas Jakobs

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