Wo wird nach den saftigen Preiserhöhungen um 40% nicht über einen Wechsel aus den unkalkulierbaren Software-Abos nachgedacht.1 Der Elefant im Raum heißt Microsoft mit seiner Windows-Zugangsplattform.2 Ein Unternehmen, das nicht wirklich in Geldnot steckt.3 Es betrifft aber auch andere Anbieter von proprietärer Software wie Broadcom, das nach der vmware-Übernahme mit teilweise existenzbedrohlichen Lizenz- und Preisanpassungen seine Kunden schockte.4 Der europäische Cloud- und Managed-Server Spezialist Anexia fand die passende Antwort dazu in einer konsequent durchgezogenen Open-Source Exit-Strategie.5
Für viele im Mittelstand erscheint das Beispiel Anexia unerreichbar. Ich halte dagegen und finde, wer rechtzeitig Anwendungen und Technologien plattformunabhängig wählt oder ganz auf webbasierte Lösungen setzt, für den ist der letzte Schritt kein so unüberwindbares Hindernis mehr.
Im heutigen Blog stelle ich eine Sammlung von solchen Anwendungen vor. Kein integriertes Gesamtsystem wie der openDesk Behördendesktop6 sondern einzelne plattformunabhängige und webbasierte Anwendungen. Für die Migration vor der Migration.
Wie immer der Hinweis: Kein Anspruch auf Vollständigkeit, die Reihenfolge gibt keine Wertung vor und your milage may vary.
Crossplattform Open-Source Anwendungen
Der erste Schritt in einem Unternehmen ist die Schaffung einer freien Auswahl. Idealerweise werden in IT Leitlinien und Arbeitsanweisungen immer Schnittstellen oder Zielformate spezifiziert und keine expliziten Programme. Einem Dokumentenmanagement kann es beispielsweise egal sein, ob es seine PDF aus Microsoft Word, LibreOffice Writer oder einem Email-Clienten erhält.
Die nachfolgende Auswahl zeigt Anwendungen, die sowohl in Linux als auch unter Windows “crossplatform” betrieben werden, offene Lizenzen aufweisen und möglichst nativ ohne langsame Middelware sind. Alles in Electron7 fällt somit aus dem Raster. Auch eine aktive Community und eine gewisse Reichweite sind wichtig, damit eine Software oder Projekt nicht irgendwann als Abandonware8 endet.
Software | Funktion |
---|---|
LibreOffice9 | Officepaket |
OnlyOffice10 | Officepaket + Collaborationstool |
PDF Arranger11 | PDF-Betrachter und Bearbeitungsprogramm |
Thunderbird12 | Email-Client mit Termin- und Kontaktverwaltung |
Rnote13 | Sketch- und Notizenprogramm vergleichbar mit Onenote |
Nextcloud14 | Client-Software zum gleichnamigen Server |
Syncthing15 | Dateitransfer und Sync |
Firefox16 | Web-Browser |
Gaphor17 | UML Chart-Modelling |
Inkscape18 | Vektor-Illustrationsprogramm |
LibreCAD19 | 2D Konstruktionsprogramm |
FreeCAD20 | 3D Konstruktionsprogramm |
Darktable21 | Fotoverwaltung und -bearbeitung |
VirtualBox22 | Desktop-Virtualisierung |
mpv23 | Medien Wiedergabe |
OBS-Studio24 | Videoaufnahme-Software |
Keepass XC25 | Passwortmanager |
Rustdesk26 | Remote-Zugriffssoftware |
NormCap27 | Screenshot-Aufnahmen mit OCR |
Mit dieser kleinen Auswahl lassen sich bereits fast alle typischen Office-Tätigkeiten daheim oder im Unternehmen erledigen. Die Adoptionsrate ist gerade bei den “Power-Usern” hoch. Von mir häufig beobachtete Killer-Features sind: Frei anpassbare Bedienoberflächen eines LibreOffice, wo meist die ungeliebten Ribbon-Bars durch klassische Menüs ersetzt werden. Das Erstellen von ausfüllbaren PDF-Formularen sowie Im- und Exporte von umfangreichen CSV-Daten ohne veränderte Zellinhalte. Nicht selten werde ich von Anwendern gefragt, wo ein Rustdesk, KeepassXC, PDF Arranger oder Rnote bezogen werden kann, weil sie dieses auch privat nutzen möchten.
Web-Anwendungen
Webanwendungen laufen per Definiton überall in den jeweiligen Webbrowsern einer Plattform. So die Theorie. Die Tücke steckt natürlich im Detail.
Ein mir persönlich begegnetes Negativbeispiel ist die Closed-Source Software Docuware, die ich einst bei einem Kunden ausgerollt habe. Mit Plattformunabhängigkeit beworben und gekauft stellte sich im Projektverlauf heraus, dass die Web-Oberfläche funktionsreduziert ist und die relevanten Funktionen nur mit einer ständig im Hintergrund mitlaufenden Windows-App nutzbar waren.
Ein weiteres Detail ist der wahrnehmbare Trend, Präferenzen auf bestimmte Browser zu setzen. Ich dachte wir haben die 1990er Jahre mit Ihren lustigen Buttons “Best viewed with Netscape” hinter uns gelassen. Negativbeispiel hier ist die Closed-Source Buchhaltungs-Software Diamant, die ausschließlich nur für Google Chrome unter Windows programmiert wurde. Bei dem Support von anderen Browsern auf anderen Plattformen gibt es ein Achselzucken.
Last but not least stellt sich bei Web-Anwendungen die Frage, ob diese selbst gehostet und offline ohne eine dauerhafte Internetverbindung betrieben werden können. Abhängigkeiten von Drittkomponenten schlagen hier gerne quer, die meinen “nach Hause telefonieren” zu müssen.28
Hier eine Übersicht ausgewählter Open-Source Business-Webanwendungen:
Software | Funktion |
---|---|
Twenty29 | CRM System |
Dolibarr30 | ERP, CRM und Warenwirtschaft |
Tryton31 | ERP, CRM und Warenwirtschaft |
Odoo32 | ERP, CRM und Warenwirtschaft |
ERPnext33 | ERP, CRM und Warenwirtschaft |
Pretix34 | POS und Ticketing-Shop |
Plane35 | Projekt-Management |
OpenProject36 | Projekt-Management |
Paperless NGX37 | Dokumentenmanagement |
Metabase38 | BI und Reporting |
RStudio IDE39 | BI und Reporting |
SoGo40 | Email, Kontakte und Kalender |
Zimbra41 | Email, Kontakte und Kalender |
Nextcloud42 | Collaboration und Kommunikationstool |
Element43 | Kommunikationstool |
BigBlueButton44 | Videokonferenz, -präsentation & -classroom |
Bookshelf45 | Wissensmanagement |
TacticalRMM46 | Administration und Server-Management |
Zabbix47 | Monitoring und Netzwerk-Management |
Piler48 | Emailarchiv-Lösung |
Der eigene Mailserver
Bei der Frage nach einem Mailserver scheiden sich oftmals die Geister. Der typische Windows- und Office-Nutzer hat sein Konto bei outlook.com. Unternehmen mit noch lokal laufenden Exchange-Servern weisen oftmals eine krude Kombination mit Microsoft Diensten und geteilten Zugriffstoken.49
Wenn Dritte Zugriff auf die privaten Konten erhalten und firmeninterne Mails durch die Infrastruktur Dritter zugestellt werden, dann sind die Schutzziele Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit futsch! Das gleiche gilt für externe Authentifizierungs-Dienste. Mir schleicherhaft, wie da große Unternehmen Ihre ISO/IEC 2700150 abbilden wenn die eigenen Admins nicht auf die Konten zugreifen können. Dafür aber jeder namenlose Microsoft-Mitarbeiter irgendwo im globalen Süden, wo die Stundensätze maximal billig sind.
Der Betrieb eines Mailservers ist kein Hexenwerk. Und es gibt sowohl für Privatanwender als auch für Unternehmen schlüsselfertige Lösungen. Darüber hinaus existieren unzählbar viele Bash- und Ansible-Skriptsammlungen. Hier eine kleine Auswahl:
Software | Funktion |
---|---|
Modoboa 51 | Komplett-Lösung inkl. WebUI zur Administration |
iRedMail52 | Email-Server mit SoGo und kostenpflichtiger WebUI |
mailinabox53 | einfacher Mailserver, mehr für private Anwender inkl. Nextcloud |
Homebox54 | Ansible-Sammlung für Installation und Betrieb |
Ich hoffe mit dieser Übersicht einen Impuls geben zu können. Vielleicht findet sich für den einen oder anderen eine bislang unbekannte Software. Je mehr Anwendungsprogramme plattformunabhängig oder webbasiert genutzt werden, desto geringer ist später die Fallhöhe bei dem Systemwechsel von der Zugangsplattform Windows zum GNU/Linux Betriebssystem.
In diesem Sinne,
Euer Tomas Jakobs
https://blog.jakobs.systems/blog/20241025-ist-windows-noch-ein-betriebssystem/ ↩︎
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/12108/umfrage/top-unternehmen-der-welt-nach-marktwert/ ↩︎
https://anexia.com/blog/de/anexia-moves-12000-vms-off-vmware-to-homebrew-kvm-platform/ ↩︎
https://en.wikipedia.org/wiki/Electron_(software_framework) ↩︎
https://de.wikipedia.org/wiki/E.T._%E2%80%93_Der_Au%C3%9Ferirdische#Nach_Hause_telefonieren_wird_sprichw%C3%B6rtlich ↩︎
https://learn.microsoft.com/de-de/microsoft-365/enterprise/hybrid-modern-auth-overview ↩︎