21. November 2025, 08:50
Lesezeit: ca. 9 Min

Durchbrechen von destruktiver Kommunikation

Destruktive Kommunikation ist selten laut. Sie klingt höflich, sachlich, mitunter sogar freundlich. Und trotzdem bleibt bei mancher Mail ein “Geschmäckle” zurück. Das unbestimmte Gefühl: Liege ich wirklich so falsch neben der Sache?

Der heutige Blogbeitrag ist ein Erfahrungsbericht aus über zwei Jahrzehnten IT Operations, Projektarbeit und Kommunikation in schwierigen Situationen samt der typischen Signalwörter und Phrasen, die vermutlich jeder in Mails oder Chats gelesen hat.

Alles nicht ohne den von mir gewohnten Disclaimer: Kein Anspruch auf Vollständigkeit oder Richtigkeit. Wahrnehmung ist immer subjektiv. Der Kontext ist immer entscheidend. Eine einzelne Formulierung kann noch komplett harmlos sein. Manifestiert sich ein bestimmter Kommunikationsstil über Wochen oder Monate, so ist das schon ein deutlich stärkeres Indiz. Your mileage may vary.

Definition von destruktiver Kommunikation

Zuerst die notwendige Kontextualisierung: Destruktive Kommunikation…

  • verschiebt die Realität.
  • vermeidet Verantwortung.
  • unterminiert Vertrauen.
  • verhindert Klärung.
  • erzeugt Machtgefälle.
  • eskaliert Konflikte, die eigentlich lösbar wären.

Im Kontrast dazu die Dinge, die eine gesunde Kommunikation auszeichnen. Gesunde Kommunikation ist klar, transparent und lösungsorientiert. Manchmal auch schonungslos ehrlich, ohne dabei persönlich verletzend zu werden.

Die folgenden Stufen geben eine pragmatische Einteilung auf Basis wiederkehrender Muster aus zahlreichen Projekten und jahrzehntelanger persönlicher Erfahrung.

Stufe 1: Milde, oft unbewusst destruktive Kommunikation

Die mildeste Stufe, flapsig im Stress, bei unvollständiger Sachlage oder aus einer Laune heraus geschrieben.

1.1 Softened Attacks

Eine positive Verpackung mit einer negativen Botschaft. Der mögliche Lobanteil kann dabei ignoriert werden. Das “aber” ist der eigentliche Satz.

Wir danken Ihnen für die Mühe, aber…
Ich weiß Ihre Arbeit sehr zu schätzen, aber…
Sie machen das ja grundsätzlich gut, aber…
Ich verstehe Ihren Punkt, aber…

Softened Attacks ermöglichen Kritik, ohne sie klar auszusprechen oder zu begründen. Sie erzeugen eine kommunikative Zwickmühle. Widerspricht man dem kritischen Teil, wirkt man undankbar oder defensiv. Es ist ein rhetorisches Machtmittel.

1.2 Herablassende Einstiege

Klingen höflich, meinen aber genau das Gegenteil. Sie setzen oft das Framing1 für den weiteren Diskurs. Freundlich im Ton, meist später abwertend in der Bedeutung.

Ich bin mir sicher, dass Vollständigkeit Ihr Anspruch ist, aber…
Vielen Dank für Ihre gut gemeinten Hinweise…
Ich weiß, Sie geben Ihr Bestes…

Der Einstieg minimiert die Kompetenz der adressierten Person. Es ist ebenfalls ein rhetorisches Machtmittel, schärfer als die “softened Attacks”. Hier soll jemand in eine schwächere Position gedrückt werden.

1.3 Die Null-Aussage (Pseudo-Klarheit)

Phrasen, die nach Inhalt klingen, aber keine Substanz enthalten:

Das ist nicht tragfähig.
Das ist nicht der Standard, den ich von Ihnen erwarte.
Das genügt unseren Ansprüchen nicht.

Pseudo-Klarheit vermittelt den Eindruck von Handlung, ohne tatsächlich Handlung erkennen zu lassen. Es dient dem Druckaufbau, liefert aber auch keine Möglichkeit oder Beitrag zur Lösung.

Stufe 2: Manipulative Verzerrung der Sachebene

Das Unwohlsein beginnt hier seinen Lauf. Die Manipulation ist nicht mehr versteckt, sondern offen.

2.1 Delegitimierung durch Infragestellung

Es wird nicht inhaltlich widersprochen, sondern die Realität verzerrt. Meist ohne Begründung, ohne Beispiele, ohne Sachinhalt.

Ob es sich hierbei um X handelt, stelle ich einmal in Frage.
Das erscheint mir so nicht ganz richtig.
Ich zweifle an der Sachlichkeit dieser Darstellung.

Diese Phrasen sind keine Kritik mehr, sie sind Machtanspruch. Übersetzt lautet dieser: “Ich entscheide, was Realität ist.” Fehlt jede weitere Konkretisierung, dient diese Phrase der Abwertung des Gegenübers.

2.2 Unbelegte Mehrheitsberufung

Hier wird ein angeblicher Mehrheitskonsens vorgeschoben,2 um sich und die eigene Position zu legitimieren. Meist fehlen Namen, klare Aussagen oder Belege.

Mehrere Personen haben ein ganz anderes Bild.
Die Mitarbeiter, das Team sehen das völlig anders.
Andere haben mir bestätigt, dass…

Diese Aussagen sind psychologische Schutzschilde. Ihre Botschaft lautet: “Ich bin nicht allein. Du bist isoliert.”

2.3 Autoritätsargument statt Sachargument

Ein noch nicht beendeter Diskurs wird abgebrochen oder verschoben.

Wir werden das mit … neu bewerten.
Das kläre ich intern.
Ich hole mir hierzu eine zweite Meinung.

Diese Phrasen vermeiden eine Festlegung. Es wird Autorität nachgeschoben. Übersetzt könnte es auch bedeuten: “Ich suche mir jemanden, der das sagt, was ich hören will.” Entlarvend ist es, wenn im Kontext eine Sachlage eindeutig ist und im Grunde nur eine Management-Entscheidung aussteht.

2.4 Gish-Galopping (Themenverschiebung)

Das ursprüngliche Thema wird nicht beantwortet, sondern durch ein neues ersetzt.

Lassen Sie uns erst einmal über das hier sprechen.
Das hier hat eine höhere Priorisierung.
Das ist jetzt nicht relevant.

Der Sender will Deutungshoheit behalten und wechselt bewusst zu anderen Themen. Im klassischen Sinne bezeichnet Gish-Galloping eine Überflutung mit vielen kleinen, teils irrelevanten Argumenten.3 Im Arbeitskontext dient es zur Vermeidung oder Verwässerung des Klärbedarfs.

In Abgrenzung dazu ist die gezielte Ablenkung vom Kernproblem das sogenannte Red Herring.4 Beide Muster ergänzen sich und sind besonders häufig dort anzutreffen, wo Hierarchie und formale Stellung als Schutzmechanismus genutzt werden.

Stufe 3: Psychologischer Druck und Angriff

Ab hier wird Kommunikation angreifend, nicht nur manipulierend. Die Grenze zur persönlichen “ad hominem” Verletzung kann hier schnell überschritten werden.5

3.1 Gaslighting durch persönliche Erfahrungsautorität

Die eigene Erfahrung wird zur Norm erklärt, die Perspektive des Gegenübers entwertet, klassisches Gaslighting.6

Ich habe es noch nie erlebt, dass das ein Problem wäre.
In meiner Karriere ist mir das noch nie untergekommen.
So etwas ist bei uns noch nie passiert.
Ich kenne niemanden, der damit Schwierigkeiten hätte.

Statt auf Sachargumente einzugehen, wird die Wahrnehmung des Gegenübers infrage gestellt. Übersetzung: “Wenn du ein Problem siehst, bist du das Problem.”

3.2 Projektion der Verantwortung

Das Gegenüber wird verantwortlich gemacht für etwas, was nicht in seinem Verantwortungsbereich liegt oder die Ursache beim Sender selbst liegt. Im englischen wird es als Blame-Shifting oder Buck-Passing beschreiben.7

Wenn Sie das anders sehen, ist das Ihr Problem.
Das hätten Sie früher ansprechen müssen.
Muss ich das jetzt wirklich selbst machen?

Übersetzt heißt es: “Ich entziehe mich der Verantwortung und mache dich dafür verantwortlich.” Klares Ziel ist die Abwertung, meist in Kombination mit einem passiv-aggressiven Framing.

3.3 Umdeutung der Situation

Sachverhalte werden nicht inhaltlich herausgearbeitet, sondern umdefiniert.

Ich interpretiere es so, dass…
Für mich klingt das, als…
Offenbar möchten Sie…

Oft ist es genau kein Interpretieren, sondern der Versuch, die Verantwortung umzuschreiben. Es erfolgt eine Täter-Opfer- oder Ursache-Wirkung Umkehr, wenn das Gegenüber zum Verursacher oder Problem erklärt wird.8 Übersetzen könnte man das auch mit “Shooting the messenger”.9

Stufe 4: Hochtoxische Kommunikationsmuster

Diese Kategorie zerstört Vertrauen, Beziehung und Kooperation.

4.1 Doppelbindung (kommunikative Zwickmühlen)

Widersprüchliche Anforderungen, aus denen ein Empfänger kaum herausfinden kann, was richtig ist. Übersetzt lautet es: “Rate, was ich meine.”

Kein Know-How-Transfer, aber Schulung in einen komplexen Sachverhalt.
Keine Doktorarbeit, aber trotzdem detailliert operationalisieren.
Alles, aber es darf nichts kosten.

Doppelbindungen10 werden oft unbewusst eingesetzt. Manchmal aber von Führungskräften auch gezielt gestreut, um Aufgabendiffusion und Anpassungsdruck zu erzeugen. Besonders toxisch wird es, wenn Nachfragen unbeantwortet bleiben, Engagement diskreditiert und Vorschläge kleingeredet werden.

4.2 Die verkleidete Drohung

Drohung, getarnt als Fürsorge oder als scheinbare Sachinformation.

In Ihrem eigenen Sinne bitte ich Sie…
Die Konsequenzen möchte ich Ihnen ersparen.
Ich würde das jetzt ungern offiziell machen.
Ich hoffe, Sie zwingen mich nicht, diesen Weg zu gehen.

Erzeugen von Unsicherheit ohne gleichzeitig Verantwortung für den Vorwurf übernehmen zu wollen. Die Macht einer Handlung liegt vollständig beim Sender ohne Nachvollziehbarkeit oder Einflußmöglichkeit des Empfängers. Das ist klassisches Powerplay, übersetzt mit “Mach jetzt gefälligst, was ich Dir sage”.

4.3 Kombinationen

Besonders toxisch sind Kombinationen der zuvor genannten Punkte. Sie verstärken sich gegenseitig, erzeugen maximalen Druck und verschieben Verantwortung vollständig. Typische Kombinationen bestehen aus:

  • Vorwurf + Umdeutung
  • freundlicher Ton + unverhältnismäßig harte Konsequenz
  • Vorwurf + sofortige Konsequenz ohne Chance zur Abwendung

Solche Kombinationen schaffen Verwirrung, Druck und Ohnmacht. Sie verhindern jede konstruktive Auflösung, weil sie gleichzeitig Druck erzeugen und oftmals die Möglichkeit nehmen, etwas aus der Welt zu schaffen.

Umgang mit toxischer Kommunikation

Damit kommen wir zur Frage, wie mit einer toxischen Kommunikation umzugehen ist. Es gibt durchaus einige Gegenmaßnahmen:

Klärung durch Präzisierung

Viele destruktive Muster funktionieren nur im Ungefähren. Präzise Nachfragen bilden eine Brücke zurück zur Sachebene:

Können Sie das bitte konkretisieren?
Was genau meinen Sie mit …?
Was fehlt, damit es tragfähig wird?

Diffuse Angriffe verlieren so an Schwung. Unausgesprochene Vorwürfe müssen benannt werden oder fallen unsubstantiiert in sich zusammen.

Verantwortung zurückgeben, wo sie hingehört

Destruktive Kommunikation versucht Verantwortung zu verschieben. Eine klare Rollentrennung oder Rückbesinnung auf tatsächlich vereinbarte Leistungen kann ebenfalls weiterhelfen:

Das ist nicht im Leistungsumfang enthalten.
Das müsste separat beauftragt werden, darf ich ein Angebot vorbereiten?
Für diesen Bereich liegt die Verantwortung bei …

Das ist professionelle Selbstabgrenzung, keine Abwehrhaltung.

Höhere Formalisierung

Verschriftlichung schützt vor Mitarbeitern und Führungskräften, die vorzugsweise mit Diffusion und Manipulation wirken.11 Ein Ausweichen auf z.B. Tickets oder Arbeitspakete in Managementsystemen entzieht diesen die Grundlage und stärkt zugleich den Reifegrad der Organisation.

  • Schriftliche Freigaben und Abnahmen
  • Protokolle nach Absprachen/Besprechungen führen
  • Verantwortlichkeiten und Deadlines fixieren

Wird Formalisierung als Abwehr, Schwäche oder unnötige Bürokratie interpretiert, sagt das sehr viel über das Gegenüber aus. In einem solchen Fall sollten eher die letztgenannten Punkte dieser Liste zur Anwendung kommen.

Einbezug Dritter

Ein neutraler Dritter kann toxische Kommunikation durch Moderation oder Mediation durchbrechen.12 Das können in Arbeitsgruppen oder Projektteams andere Teammitglieder sein. Auf höherer Ebene sind es andere Führungskräfte oder jemand außerhalb der Unternehmenshierarchie, der von beiden Seiten als kompetent und neutral akzeptiert wird.

Kommunikationsreduktion

Schweigen ist bekanntlich Gold. Professionelle Distanz und Reduzierung der Kommunikation auf ein absolutes Minimum wie Ja/Nein-Antworten können zur Entspannung führen, sofern keine destruktiven Elemente wie z.B. Informationsentzug oder ein passiv-aggressiver Unterton mitschwingt.

Grenzen ziehen

Toxische Kommunikation wird häufig erst dann gestoppt, wenn sie klar als solche benannt wird:

Wir kommen so nicht weiter, bitte bleiben Sie sachlich.
Ihre Formulierung empfinde ich als abwertend.

Trennung

Zieht sich eine destruktive Kommunikation dauerhaft, wiederkehrend über einen längeren Zeitraum, kann ich als letzte Möglichkeit nur noch die Trennung nahelegen.

Fazit

Destruktive Kommunikation ist kein Stilproblem. Sie verzerrt Realität, verhindert Klärung und verschiebt Verantwortung. Es ist ein hohes Organisationsrisiko für jedes Unternehmen. Alles beginnt harmlos, doch über Wochen und Monate wirkt es kumulativ und kann Teams spalten, Projekte sabotieren und Menschen zermürben. Begünstigt durch den Bystander-Effekt kann es gelebte Praxis in Unternehmen sein.13

Meiner persönlichen Beobachtung nach sind destruktive Kommunikationsmuster meist in mittelständischen Unternehmen anzutreffen, die im Übergang von autoritären zu systemgeführten Organisationen sind und zum ersten Mal in Berührung mit strukturierten ISMS-Prozessen, Zertifizierungen und Audits kommen.

Wenn Sie sich in einem solchen Muster wiederfinden: Erkennen. Begrenzen. Handeln. Seien Sie mutig, die Konsequenzen zu ziehen, sollten die vorgestellten Gegenmaßnahmen nicht greifen. Ihre Arbeitsfähigkeit und mentale Gesundheit sind es wert, geschützt zu werden.

Gesunde Kommunikation ist lernbar. Sie beginnt mit Klarheit, Integrität und der Kritikfähigkeit, schwierige Dinge offen anzusprechen und auch auszuhalten.

In diesem Sinne,
Tomas Jakobs

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