Realitätsabgleich

Die Vorweihnachtszeit und der Jahreswechsel sind Zeit der Rück- und Ausblicke. Positives wird betont, Negatives schnell wieder vergessen. Da kommen einige aktuelle Meldungen zum Realitätsabgleich wie gerufen, ein Rundumschlag der Themen beginnend mit Microsoft:¹

Microsoft drops AI sales targets in half after salespeople miss their quotas.

Dem Artikel ist ferner zu entnehmen, dass gerade Geschäftskunden die Errungenschaften aus dem Hause Microsoft nicht wollen. 37,5 Millionen Copilot-Chats zeigen: Die Menschen suchen eher Rat in allgemeinen Fragen zu Gesundheit oder Entertainment.²

Health is consistently the most common topic while interestingly, […] with entertainment seeing a steady rise.

Eine schöne Zusammenfassung dazu gibt es auch bei implicator.ai:³

The fastest-growing use cases aren’t enterprise workflows. They’re the personal, emotional, identity-adjacent interactions that happen on mobile devices at odd hours.

Wie war das mit besonders schutzwürdigen Gesundheitsdaten, die bereitwillig in einer LLM geteilt werden? Ich frage natürlich für einen Freund.

Diagramm aus einem Copilot-Usage-Report mit der Verteilung nach Themen. Gesundheit durchgehend an Nr. 1

Captain Obvious hat auch im deutschen Innenministerium gleich mehrfach zugeschlagen und für einen Realitätsabgleich gesorgt. Ein bisher unter Verschluß gehaltenes Rechtsgutachten stellte fest, dass Daten selbst in europäischen Cloud-Rechenzentren nicht vor dem Zugriff der USA sicher sind.⁴ Entscheidend ist nicht der physikalische Standort, sondern wer die Kontrolle ausübt.⁵ Spannend wird es auch bei EU-Unternehmen mit Niederlassungen im Ausland, so wie das aktuelle Beispiel OVHcloud zeigt.⁶

Doch damit nicht genug. Das digitale Vorzeigeprodukt eID ist kaputt. Noch nie war es so einfach, Fake-Identitäten für neue Bankkonten oder ganze Firmengeflechte zu nutzen, so die Süddeutsche Zeitung in ihrer Recherche.⁷ Während eine eID technisch aufwändig überprüft wird,⁸ hat jemand vergessen den vielen Bürgerbüros im Land Überprüfungsgeräte zur Kontrolle ausländischer Pässe zu geben, die zur eID-Beantragung vorgelegt werden.⁹

Einmal mit Profis arbeiten würde Fefe ranten. Ich vermisse ihn.¹⁰

Die Tage hatte ich ein Gespräch mit dem Geschäftsführer eines Systemhauses. Stolz zeigte er mir seinen leeren Serverraum. Nur noch Netzwerkswitches, der Rest sei in der Azure-Cloud. Meine Fragen haben ihm nicht gefallen:

Was ist Dein USP als Dienstleister nochmals?
Wie hilfst Du anderen, wenn Du selbst mit den gleichen Problemen und Ausfällen kämpfst?

Vielleicht liest er ja meinen jüngsten Blog zu SLAs.¹¹

Dazu passend der nächste Realitätsabgleich in Gestalt einer anrollenden 2,4 Mrd Klage: Microsoft habe 60.000 britischen Unternehmen beim Einsatz von Windows-Server in Nicht-Azure-Clouds überhöhte Preise berechnet.¹² Da erscheinen die 120 Mio gegenüber Musk mit seiner Hass- und Nazi-Plattform wie Peanuts.¹³ Aber keine Sorge, der nächste BigTech-Kandidat wartet bereits.¹⁴

Warum braucht es immer erst solche Gerichtsverfahren? Was machen die Kontroll-Instanzen in Unternehmen eigentlich so den ganzen Tag?

IT wird immer mehr zum geopolitischen Gut und die Kontrolle immer direkter und rücksichtsloser ausgespielt.¹⁵ Das Beispiel mit dem Chefankläger am internationalen Strafgerichtshof ist nur ein Vorgeschmack, was passieren kann, wenn jemand auf der anderen Seite des Atlantiks den digitalen Stecker zieht.¹⁶

Wer Software und Infrastruktur kontrolliert, der kontrolliert auch die Wertschöpfung und kann aus dem Nichts pauschal 25% Preisaufschlag durchsetzen.¹⁷

Und so schliesst sich der Kreis. Nach so viel harter Kost zum Abschluss etwas Positives, worauf ich mich sehr freue: Wir sehen uns auf dem 39. CCC-Kongress in Hamburg.¹⁸

Ein paar besinnliche Feiertage,
Tomas Jakobs

P.S. Wer schöne Projekte für 2026 hat, einfach melden.